Müssen wir immer wissen, was unsere Kinder gerade tun?

  AUFSICHTSPFLICHT

Müssen wir immer wissen, was unsere Kinder gerade tun?

Natürlich nicht, wenn es nach den Kindern geht. Natürlich nicht, hieße es auch seitens Rechtssprechung und Versicherung. Dennoch wird im Falle eines Schadens genau hingeschaut, ob womöglich die Aufsichtspflicht verletzt wurde. Ein Beispiel:

Der sechsjährige Ben und seine Freundin Luisa haben sich in Bens Zimmer zurückgezogen. Nachdem die beiden das halbe Zimmer in eine Riesen-Murmelbahn verwandelt haben, üben sie sich jetzt im Murmelweitwurf. Aus dem geöffneten Fenster heraus zum Glück kein Problem, das Kinderzimmer liegt ebenerdig. Ziel ist das Gartentor. Luisa hat schon vier Mal getroffen, Ben erst ein Mal. Dann nimmt er besonders viel Schwung – und einen seiner gesammelten Steine. Denn die Murmeln sind längst alle verschossen. Dieses Mal hat Ben mehr „Erfolg“ als er wollte, der Kratzer auf dem Dach des parkenden Autos ist nicht zu übersehen.

Noch vor einer Viertelstunde hatte Bens Vater vorsichtig ins Zimmer gelinst, um zu schauen, ob alles in Ordnung ist. Da spielten die beiden gerade mit ihrer Murmelbahn. Hätten die Eltern öfter nachschauen oder gar die Kinderzimmertür offen stehen lassen sollen? Dann wäre es vielleicht gar nicht erst zum Steinewerfen gekommen. Doch Bens Eltern gehören nicht zu den Eltern, die ihr Kind auf Schritt und Tritt begleiten und überwachen. Aber:

Ab wann verletzt man eigentlich die Aufsichtspflicht?

Grundsätzlich müssen Kinder beaufsichtigt werden, solange sie minderjährig sind. Wie weit die Aufsichtspflicht im Einzelfall reicht, hängt in erster Linie vom Alter ab. Auch die jeweilige Situation, die individuelle Reife und der Charakter des Kindes spielen eine gewichtige Rolle. Eine allgemeingültige Regel gibt es daher nicht, sondern immer nur eine Einzelfallbetrachtung. Ben ist sechs Jahre alt, kann bestimmte Gefahrenquellen altersgemäß gut einschätzen und zeigt sich meist nicht allzu übermütig. Da ist ein halbstündiger Kontrollblick sicherlich ausreichend. Gefährliches Spielzeug wie Pfeil und Bogen sollten trotzdem außerhalb seiner Reichweite aufbewahrt werden. Denn nicht zuletzt geht es ja darum, dass Kind selbst zu schützen.

In der Regel wird über die Einhaltung einer angemessenen Aufsichtspflicht erst dann beschieden, wenn das Kind oder Dritte zu Schaden gekommen sind. Anders sieht es aus, wenn man beispielsweise ein Kleinkind nachts stundenlang allein lässt. Hier drohen strafrechtliche Konsequenzen. Auch dann, wenn (hoffentlich!) noch nichts passiert ist.

Das richtige Maß finden

Kinder bis zu drei Jahren sollte man auch tagsüber nicht allein in der Wohnung lassen. Dabei muss man sie aber nicht ständig unter Beobachtung haben. Bei vierjährigen Kinder kann man dagegen schon mal kurz das Haus verlassen, um etwa den Müll rauszubringen. Ist man noch in Hörweite, sind oftmals auch bis zu 20 Minuten angemessen. Ab sieben kann man die meisten Kinder getrost für längere Zeit allein draußen spielen lassen. Aber auch das ist von einigen Faktoren abhängig. Von der Entfernung zum Haus zum Beispiel, gegebenfalls auch von der bereits erworbenen Verkehrstüchtigkeit. Fragen wie „Traust du dir das zu?“ und „Was tust du, wenn du Hilfe brauchst?“ oder auch „Hält sich mein Kind an Absprachen?“ und „Kann es Risiken oder Gefahren erkennen?“ helfen, das richtige Maß zu finden.

Wie sieht es bei Besuchskindern aus?

Bens Eltern haben auch eine Aufsichtspflicht gegenüber Luisa. Jedenfalls solange sie bei Ben zu Besuch ist und ihre eigenen Eltern nicht dabei sind. Gleiches gilt für Omas und Opas, Nachbarn und Nachbarinnen, Freunde und Freundinnen, wenn sie für den Nachmittag oder übers Wochenende ein Kind in ihre Obhut nehmen. Wird das Kind der Krippe, der Tagesmutter oder einem Kindergarten übergeben, so übernehmen diese die Aufsichtspflicht. Das gilt auch für die Schule oder bei einem Krankenhausaufenthalt. Hier spricht man von einer vertraglichen Aufsichtspflicht.

Und wer zahlt nun den Schaden?

Haftbar ist grundsätzlich der Verursacher bzw. die Verursacherin eines Schadens. Also Ben! Als Kind unter sieben Jahren gilt er nach deutschem Recht allerdings noch nicht als deliktfähig. Deshalb geht die|der Geschädigte in diesem Fall leer aus. Anders sähe es aus, wenn Bens Eltern nicht ausreichend nach den Kindern gesehen und damit ihre Aufsichtspflicht verletzt hätten. Oder wenn Luisa, sie ist schon acht, den Stein geworfen hätte. Dann haftet Bens Eltern bzw. das „deliktfähige“ Kind, also Luisa. Die Kosten übernimmt in der Regel die Private Haftpflichtversicherung.

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